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EHINGER TAGBLATT                            

Samstag, 20. September 2025


 „Poohtin“ neben der Schüssel

Ausstellung In der Städtischer Galerie zeigt der Brite Paul Critchley opulente Innenräume, bei denen man sich fragen kann, was gemalt wurde und was echt ist. Von Christina Kirsch


Bitte Zeit mitbringen. Die Lust am Schauen kommt bei den Bildern von Paul Critchley ganz von alleine. In der Städtischen Galerie entfaltet der gebürtige Brite auf zwei Stockwerken ein opulentes Panorama an Ein-  und Ausblicken, die den Betrachter in ihrer Detailverliebtheit sofort gefangen nehmen. Es sind auch nicht Bilder in den üblichen Formaten eines Quadrats oder Rechtecks, mit denen die neue Ausstellung bestückt ist, sondern man sieht die Umrisse von Kommoden, Kühlschränken, Stühlen, Lampen - oder einem Hund, der in einer Ecke gerade das Bein hebt.


Es empfiehlt sich zudem, nach oben zu schauen. Dort sind plötzlich Lüftungsschächte und Überwachungskameras. Nicht alles ist erklärlich. So schwimmen in den hölzernen Schubladen einer Kommode ein paar Fische im Wasser. Sie scheinen recht lebendig, aber die Situation ist irreal.


Paul Critchley, der einer Künstlerfamilie entstammt, malt Innen-und Außenräume. Landschaften und Mobiliar. In einem Regal stehen Gipsmodelle, die an der Akademie als Vorlagen für das Zeichenstudium dienten. „Die stammen aus meinem Elternhaus“, sagt der Künstler. In der Ausstellung mischt sich Realität und Fiktion. Vieles sei aus dem Haus in Italien, in dem er mit seiner Frau lebt, erklärt Critchley. Es gibt aber auch Einblicke in etwas heruntergekommene Studentenbuden, hinter Duschvorhänge und in Kühlschränke. Aus dem Kühlschrank glotzt den Betrachter ein Schafskopf an. Im Fach darunter stehen eingeweckte Schafsaugen. Wie gut, dass mann diesen Kühlschrank auch schließen kann.


Von Innen nach außen

Paul Critchleys Markenzeichen sind die klassischen Diptychen oder das Triptychon, ähnlich wie bei Flügelaltären in den Kirchen. Fensterläden lassen sich schließen und Türen öffnen. Mal schaut man in die Ferne, mal direkt in ein Wohnzimmer, wo sich eine nackte Frau auf dem Sofa räkelt. Im Badezimmer hängt ein gemalter Heizstrahler an der Wand. Mit einem baumelnden Schnürchen in echt unten dran zum Anmachen.


In der Städtischen Galerie bot sich durch die Raumsituation mit mehreren Räumen eine Art Rundgang von außen nach innen an. Man beginnt als Besucher im Gang mit einer Ansicht durch ein Fenster von außen und kann dann den Rundgang im nächsten Raum vom Wohnzimmer über die Küche und bis in das Badezimmer fortsetzen. Überall warten Details. Auf der altmodischen Kühlschranktüre steht als Markenname nicht etwas „Bosch“, sondern „Critchley“. Auch einen Toilettenschüssel, die dringend einen WC-Reiniger bräuchte, trägt den Künstlernamen als Firmennamen.


Selbsterklärend

Das Toilettenpapier ist bedruckt mit „Poohtin“.  Für welchen Slang-Ausdruck „Pooh“ steht, erklärt sich von selber. In Russland drohte für dieses Bild vermutlich das Straflager. Unappetitliches ist bei Critchley herrlich amüsant inszeniert. Selbst die Überreste eines Fischessens scheinen vor sich hin zu stinken. Solche Mahlzeitstillleben mit abgenagten Gräten und zur Seite gelegten Fischköpfen seien besonders schwierig zu malen, erklärt der Künstler. Fragt man nach Details, und möchte wissen, warum der Feuerlöscher in Flammen steht, antwortet der Maler „weil es mir gefällt“. Die Flammen sind natürlich nur aufgemalt, aber der Abzug mit dem Sicherheitsring ist echt. So echt wie das Telefonkabel, das zwei gemalte Telefone verbindet. Critchleys Bilder sind nur auf den ersten Blick amüsant und harmlos.


Das Werk „The Time Of Remorse“ entstand während Covid. Das Innere des Hauses ist in einem düsteren Grau gehalten, draußen grünt es wie im Garten Eden. Der Künstler geht auf diesem Bild bis auf Adam und Eva zurück. Die Vertreibung aus dem Paradies geschieht hier durch ein Virus. Auf einem anderen Bild ist der Homo sapiens das schrecklichste Virus des Planeten. „Wir nehmen uns immer mehr Platz weg“, sagt Critchley, dem zwischen Klimakatastrophe und Kriegsherren der britische Humor nicht abhandengekommen ist.